Leben wir in einer „Kultur des Todes“?

In der 1995 veröffentlichten Enzyklika „Evangelium vitae“- Frohe Botschaft des Lebens –  spricht Johannes Pauls II. von einer „Anti-Solidaritätskultur“, die sich als eine „wahre ‚Kultur des Todes‘“ herausstelle. Auch Papst Franziskus bedient sich öfter einer Todesrhetorik. Was ist damit genau gemeint? Und trifft dies für unsere Gesellschaft zu?

Bild: MamabaB / fotolia.com

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Papst Franziskus und die „Kultur des Todes“

Gegen die sogenannte Kultur des Todes stellt die Familie den Sitz der Kultur des Lebens dar.“ So zitiert Papst Franziskus die Enzyklika „Centesimus Annus“ (1991) von Johannes Paul II. in „Laudato si“. In seiner Antrittsenzyklika „Evangelii Gaudium bezieht Papst Franziskus das Töten auf die Wirtschaft: „wir [müssen] heute ein „Nein zu einer Wirtschaft der Ausschließung und der Disparität der Einkommen“ sagen. Diese Wirtschaft tötet.“ Der Aspekt der „Kultur des Todes“ scheint sich also auf zwei Bereiche zu beziehen: wirtschaftliche und soziale.

Johannes Paul II. und die „Kultur des Todes“

In der Enzyklika „Evangelium vitae“ nennt Johannes Paul mehrere Faktoren, die eine Kultur des Todes ausmachten: Abtreibung, Euthanasie, Säkularismus. Der „Kultur des Todes“ stellt Johannes Paul II. eine „Kultur des Lebens“ entgegen: „Es ist eine Einladung, die wohl auch für uns gilt, die wir uns jeden Tag zwischen der »Kultur des Lebens« und der »Kultur des Todes« entscheiden müssen.“ Deutlich wird also, dass Johannes Paul II., anders als Papst Franziskus, weniger auf wirtschaftlich-sozialer, sondern mehr auf moraltheologischer Ebene die Kultur des Todes verortet.

Ist unsere westliche Welt eine „Kultur des Todes“?

Beide Päpste, sowohl Franziskus als auch Johannes Paul II. nehmen wahr, dass es himmelschreiende Ungerechtigkeiten gibt. Beide haben dabei unterschiedliche Schwerpunkte. Es ist sicherlich zu fragen, was es über eine Kultur sagt, wenn Kinder je nach Grad der Behinderung bis zur Geburt abgetrieben werden dürfen oder Abtreibung als Teil der Familienplanung gilt, so dass mittlerweile seit Einführung des Paragraphen 218a (1974) mehrere Millionen Kinder abgetrieben wurden.

Auch beim Wirtschaftssystem stellt sich die Frage, wie lebensförderlich es genannt werden kann, wenn für unseren Wohlstand Menschen in Afrika und Ostasien ausgebeutet und nahezu „versklavt“ werden, wenn Kriege gefördert und der Planet zerstört wird. Wenn einige nur deshalb so reich sein können, weil andere im Elend leben. Das ist wirklich kein System, das einer Lebenskultur dient.

Was man jedoch nicht vergessen darf sind die lebensförderlichen Aspekte des modernen Lebens. Durch Medizin und Industrie können wir heute länger leben als je zuvor, bisher tödliche Krankheiten können geheilt werden, Hunger und Seuchen sind in der westlichen Welt zumindest keine Alltäglichkeit mehr. Dies alles ist zum großen Teil dem  technischen Fortschritt zu verdanken. Weiterhin ist an die freiheitlich-demokratische Grundordnung, wie sie u.a. in Deutschland durch das Grundgesetz gesichert ist, zu denken. Es ist ein absolutes Novum in der Menschheitsgeschichte, dass die Würde des Menschen konstituionell verfasst ist und Menschenrechte gewährt werden. Auch gegen die Kirche wurden diese Rechte, die das konkrete Leben des Menschen nach seinem Gewissen ermöglichen, durchgesetzt.

Unsere Gesellschaft ist daher nicht einfach eine Todeskultur, aber sie hat Aspekte einer Luxus- und Spaßkultur entwickelt, ohne Rücksicht auf das Leben anderer zu nehmen. Dabei ist unsere westliche Gesellschaft geografisch meist zu weit weg von den Slums und Elendsvierteln, um das wahre Ausmaß und die Verantwortung für den Lebensstil wahrzunehmen.

Die westliche Welt muss sich ändern

Man kann es Ironie nennen: Das Überleben der westlichen Welt ist gefährdet, seit es diesen Wohlstand gibt. Kaum ein Land unseres Kulturkreises kann demographisch überleben. Zuwanderung ist daher notwendig für alle europäischen Länder wie für Nordamerika. Wirtschaftlich gesehen sind die Löhne, die sozialen Unterschiede und die Schulden zu hoch. Dies kann zu sozialen Unruhen führen. Langfristig lässt sich auch kein westlicher Lebensstil durch fernöstliches Lohndumping führen. Sowohl wegen der Menschenwürde als auch wegen des wachsenden Wohlstands anderswo, kann ein System keine Zukunft haben, dass auf Kosten anderer existiert. Es ist nur daher eine Frage der Zeit, bis es zu massiven gesellschaftlichen Änderungen kommen wird.

Josef Jung

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