Religionskritik und Blasphemie

Religionskritik gehört von Anfang an auch zum Islam. Christentum wie Islam sind als Kritiker des Polytheismus aufgetreten. Blasphemie ist verschärfte Kritik, die in Schmähung übergeht. Wie beide Religionen damit umgehen, erfährt der Leser durch aufschlussreiche Beiträge des Theologischen Forums Christentum-Islam aus dem Jahr 2016.

Überraschend im Vergleich zur heutigen nervösen Gereiztheit liest man bei Katajun Amirpur, wie über Jahrhunderte hinweg im Islam Kritik problemlos formuliert werden konnte.  Silvia Horsch zeigt, wie über Jahrhunderte Frauen eine bedeutende Rolle in der sunnitischen Gelehrtenwelt spielten. Das Christentum wurde erst im 19. Jahrhundert einer tiefgehenden Religionskritik unterzogen, hat diese aber besser verkraftet als der Islam. Offensichtlich kannte der Islam bis ins Mittelalter eine lebendige Debattenkultur. Die immer wieder gestellte Frage, warum der Islam sich unterlegen fühlt, auf Blasphemie mit Gewalt reagiert, beantwortet Michael Blume mit einer Zahl wie mit einer Entscheidung im 15. Jahrhundert.   Während in Japan durchschnittlich 40 Bücher pro Jahr gelesen werden, sind es in den arabischen Ländern noch nicht mal 1 Buch pro Einwohner. 1485 verbot Sutlan Bayazit II. die Übernahme der Gutenbergerfindung und verhinderte damit die Buchproduktion.

Nun würde man von den muslimischen Beiträgen in dem Buch erwarten, dass zu der Gewaltfrage eine Antwort gegeben wird, die sich auf die Autorität des Korans stützen kann. Der zentrale Beitrag  von Bacem Dziri kommt zu der Aussage über zwei Positionen in Bezug auf den Islam. George W. Bush  stellt fest: „The face of terror ist not the true face of Islam“. Der Kalif al-Bagdadi, bezeichnet den Islam als „Religion des Kampfes.“ Die Schlussfolgerung „Beide kämpfen um das Recht, für die Ressource „Islam“ zu sprechen, führen Kriege und bekommen von unterschiedlicher Seite Recht zugesprochen. Islam selbst kann auch hierzu nicht anders als schweigen.“ S. 137 Irgendwie wird die Beziehung zwischen Religion und Gewalt zum Verschwinden gebracht. Das geht ganz einfach.  Für den Autor „handelt es sich bei dem „Islam“ um keine Religion, und schon gar kein Kollektivwesen, für das einzelne Entitäten sprechen könnten.“ S. 133  Sein Beitrag hat die Überschrift: „Kritik einer semantischen Neuerfindung des Islams“. Warum können die Muslime nicht Stellung nehmen: weil der Islam nur ein Konstrukt sei, daher Muslime mit gewaltbereiten Islamisten identifiziert würden und das eben zu ungerechtfertigten Stereotypen führe. Als wäre die Zuschreibung von Gewaltlegitimierung eine Erfindung von Islamkritikern und von den Medien nachgebetet und nicht eine Zuschreibung, die sich die Attentäter selbst geben. Der nachfolgende Bericht über die Diskussion bei der Tagung lässt nicht erkennen, dass dieser Punkt einer Klärung näher gebracht worden wäre. Diese Berichte über die Diskussion nach den Referaten sind seltsam unergiebig, geben meist nur den Inhalt der Referate wieder und nicht etwaige Klärungen oder auch kontrovers gebliebene Fragen. Hier ist dann auch das Manko des Bandes zu lokalisieren. Die Vorträge werden so abgedruckt, wie sie für die Tagung ausgearbeitet wurden, kein Autor gibt zu erkennen, was er durch die Diskussion klarer oder anders sehen gelernt hat. Die Berichte zu den Diskussionen bleiben auf der Ebene versuchter Inhaltsbeschreibungen. Trotzdem lohnt sich die Lektüre außerordentlich. Man versteht sehr viel besser, wie schwierig für islamische Intellektuelle die Frage der Blasphemie und die daraus abgeleitete Legitimation von Gewalt ist. Für die Lektüre seien der Beitrag von Martin Heger über die aktuelle Gesetzgebung und Rechtsprechung in Deutschland empfohlen sowie das einleitende Kapitel von Ebrahim Moosa, das einen Überblick über die Reaktionen in der islamischen Welt auf blasphemische Karikaturen gibt.

Eckhard Bieger

Die Beiträge über Religionskritik und Blasphemie in Bezug auf Christentum und Islam durch Theologen beider Religionen auf dem Theologischen Forum Christentum – Islam aus dem März 2016:
Kritik, Widerspruch, Blasphemie, Anfragen an Christentum und Islam, Hrsg. Von Christian Ströbele, Mohammad Gharaibeh, Tobias Specker, Muna Tatari, Verlag Pustet, 290 S. Regenburg 2017, € 26,95 .

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