Versprochenes Glück – nicht auf dieser Welt


Der Mensch kommt mit der Sehnsucht auf die Welt, glücklich zu werden. Sein Leben soll gelingen. Das kann eintreten, aber es gibt keine Garantie, das Glück zu erlangen. Die Gesundheit oder ein Unfall können dem Leben vorzeitig ein Ende setzen, ohne dass der Mensch etwas verwirklichen oder die Phasen einer Partnerschaft leben konnte. Noch weniger als die Natur stehen andere Menschen für mein Glücklichwerden ein. Es sind sogar andere, die mein Glücklichwerden durchkreuzen, schon wenn sie in einem olympischen Wettbewerb eine hundertste Sekunde schneller laufen. Gibt es eine Instanz, die mir nicht nur Glück verspricht, sondern es auch einlöst? Immanuel Kant zeigt den Weg auf.

Die folgende Darstellung bezieht sich auf einen Vortrag von Holm Tetens, den dieser bei einer Tagung der Phil.-Theol. Hochschule Sankt Georgen im April 2014 hielt. Die Tagung stand unter Frage: „Transzendenzlos glücklich?“

Kant erkennt dem Menschen nicht nur die berechtigte Sehnsucht nach Glück zu, sondern auch eine Art Anspruch, den man als „Glückswürdigkeit“ bezeichnen kann. Diese erwirbt sich der einzelne, insofern er sich als sittliche Person entwickelt. Er ist sich selbst verpflichtet, dem sittlichen Anspruch gerecht zu werden, weil er als Vernunftwesen nicht einfach dahinleben kann, sondern der Vernunft folgen muss, die ihm auch die sittlichen Forderungen einsichtig macht. Dieser Bestimmung muss er auch dann folgen, wenn die Umstände eine Orientierung an der sittlichen Ordnung erschweren. Mit der Beachtung der sittlichen Normen, also im Kern der 10 Gebote, wird der einzelne nicht nur seiner Würde gerecht, sondern müsste auch sein Glück erlangen. Dem stehen aber die Ungewissheit eines frühen Todes wie auch die Bosheit der anderen entgegen. Sittliches Verhalten sollte eigentlich zum Glücklichsein führen, aber nicht wenige Menschen erlangen das ihnen zustehende Glück nicht. Sowohl die Natur und noch mehr andere Menschen machen einen Strich durch die Rechnung „Sittlichkeit führt zum Glück“.

Eingangsbereich der Kathedrale von Amiens Foto: hinsehen.net

Eingangsbereich der Kathedrale von Amiens Foto: hinsehen.net

 

 

Wer die Kathedrale von Amiens betritt, wird mit Lebenssituationen, Paradoxien, Heiligen oder hier mit einer älteren Frau, die beruhigend auf eine Jüngere einredet, die ein Schwert gezückt hat.

 

 

 

 

 

 

A-Moralität darf nicht belohnt  werden

Wenn die Welt so konstruiert ist, dass das sittliche Handeln in seiner Konsequenz nicht zu einem erfüllten Leben führt, dann ist damit die Geltung des Sittengesetzes infrage gestellt. Denn dem Menschen sind gerechtes Handeln, die Achtung der Würde des anderen, Verlässlichkeit, Treue aufgeben. Wir erachten ein Leben eines anderen als gelungen, wenn er, wenn er „anständig“ gelebt hat, also sich nicht auf Kosten anderer Vorteile verschafft hat. Wenn aber jemand die sittliche Vervollkommnung nicht angestrebt, aber genauso sein Glück gemacht hat, verliert sittliches Handeln seinen Wert. Zudem verliert sittliches Handeln seine eigentliche Bedeutung, wenn es nicht der Weg zum Glück ist. Denn Treue, Gerechtigkeit, Hilfsbereitschaft, Bemühen um Frieden zielen ja auf das Wohlergehen andere Menschen. Wenn aber genau dieses Wohlergehen auch ohne moralisches Verhalten erreicht werden kann, würde Sittlichkeit ins Leere laufen. Hat aber moralisches Handeln das Wohlergehen des anderen zum Ziel hat, kann es nicht den Weg zum eigenen Glück verstellen. Unsere Welt und die menschliche Gesellschaft sind aber nicht so gebaut, dass sich der Zusammenhang zwischen dem Streben nach sittlicher Reife und Glück einstellt.

Sittliches Handeln kann nicht aufgegeben werden
Kant hält an der Glückswürdigkeit moralischen Handelns fest. Zugleich muss er feststellen, dass das Zusammenkommen von moralischem Handeln und Glück, er nennt das das „Höchste Gut“, in dieser Welt nur zufällig zustande kommt. Ebenso führen die Bedingungen in dieser Welt nicht dazu, dass der Mensch sich zu einer sittlichen Persönlichkeit im vollen Sinne entwickeln kann. Das Datum des Sterbetages nimmt nicht darauf Rücksicht, ob der einzelne das dem Menschen aufgegebene Ziel einer reifen Person erreicht hat. Die  materielle Welt ist also nicht derart, dass der Mensch das verwirklichen kann, was ihm als höchstes Ziel aufgetragen ist. Nur ein Leben nach dem Tod, in dem Gott andere Bedingungen setzt, verspricht dem Menschen die Verwirklichung des Zieles, das ihm verpflichtend aufgetragen ist. Würde der Mensch sich mit dem zufrieden geben, was sich per Zufall einstellt, würde das die Moralität infrage stellen. Denn wenn sittliches Verhalten genauso wie die  Nichtbeachtung der Rechte des anderen zum Glück führen, dann könnte die Achtung der Würde des anderen mit all ihren Konsequenzen nicht mehr allgemein gefordert werden. Man kann moralisch handeln, andere müssen es nicht. In dieser Welt wäre die Geltung des Sittengesetzes nicht sinnvoll, denn die Konsequenzen des Handelns treten nur zufällig ein. Das Sittengesetz tritt aber mit dem Anspruch der Notwendigkeit an den einzelnen heran. Wenn auch das dem Menschen vorgegebene Ziel, sich zu einer sittlich reifen Persönlichkeit zu entwickeln, in dieser Welt nicht sicher erreicht werden kann, dann muss es in dem Leben nach dem Tod genau diese Bedingungen geben.

Der Mensch kann sich sittlich nicht in dieser Welt beheimaten

Kant entscheidet sich für die Geltung des Sittengesetzes und muss dann notwendig eine andere Welt postulieren, in der der Auftrag des Menschen, nämlich eine sittlich reife Persönlichkeit zu werden, erfüllt werden kann. Wer nur diese Welt als die einzig mögliche sieht, kann die unbedingte Geltung des Sittengesetzes nicht mehr fordern. Das hebt aber die Verpflichtung, moralisch zu handeln und damit die Geltung des Sittengesetzes auf. Die Geltung des Sittengesetzes fordert, eine andere Welt zu postulieren.

Das stößt auf die Ablehnung des Naturalismus, für den es nur diese Welt gibt. Allerdings kann der Naturalismus das auch nur postulieren. Er hat nur einzig den Vorteil, dass es diese Welt offensichtlich gibt. Jedoch kann er mit den wissenschaftlichen Methoden schon nicht mehr feststellen, ob es eine andere Welt gibt, die ähnlich wie unsere konstruiert ist und in der wie in unserer die Lebewesen sterben. Das liegt daran, dass die naturwissenschaftlichen Methoden an den Grenzen des Universums Halt machen müssen.
Noch zu bedenken ist der notwendige Zusammenhang von Sittlichkeit und Glück. Die sittlichen Forderungen, also nicht betrügen, keine Gewalt, um seine Ziele durchzusetzen, keine Lüge, noch nicht einmal das Begehren nach der Frau und den Gütern des andere, sollen ja sicherstellen, dass der andere genauso wie ich sein Glück erlangen soll. Wenn aber das eigene moralische Handeln nicht in notwendigem Zusammenhang mit meinem Glück steht, dann erscheint der Anspruch, sittlich zu handeln, gebrochen. Offensichtlich ist in dieser Welt aus der Kette der Evolutionsschritte ein Wesen entstanden, dem diese Welt fremd geworden ist. Der Buddhismus und die im ersten Jahrhundert aufkommende Gnosis und später die Katharer geben dieser Erfahrung, die Kant begrifflich gefasst hat, Ausdruck: Den Menschen hat es irgendwie in diese Welt verschlagen. Hier kann er nicht glücklich werden. Deshalb sehnt er sich dahin zurück, wo seine Seele beheimatet ist. Auch diese Vorstellungen haben den Charakter von Postulaten. Das führt zu der Einsicht:

Der Mensch kann nicht wissen, sondern muss zwischen Postulaten wählen

Wir leben in einem Zeitalter der Empirie. Was wir für wirklich halten, muss uns durch Experimente belegt werden. Was empirisch nicht fassbar ist, gilt nicht. Da die Geltung der sittlichen Forderungen nicht empirisch fassbar ist, sondern uns nur als Anspruch erreichen, können die empirischen Wissenschaften nur feststellen, dass die einen sich an die Gebote halten, andere nicht. Ihre Geltung ist kein Gegenstand der Natur- und Sozialwissenschaften. Man kann diese Geltung nur akzeptieren. Da der Mensch diesen Anspruch spürt, ist dieser allerdings „empirisch“ da. Zugleich kann der Mensch erwarten, dass sittliches Handeln nicht nur seine Glückswürdigkeit begründet, sondern auch tatsächlich zum Glück führen muss. Wenn nun diese Welt nicht jedem genügend Lebenszeit garantiert, um überhaupt als sittliche Persönlichkeit heranzureifen und dann noch der Zusammenhang von sittlichem Handeln und Glück nur zufällig ist, dann muss er mit einer Welt rechnen, wo diese Bedingungen gegeben sind. Das ist ein Postulat, weil es keinen empirischen Beweis dafür gibt. Aber auch die Naturwissenschaften können nicht beweisen, dass es keine andere Welt gibt. Deshalb ist naturalistischen Schlussfolgerung, nur das, was den Methoden der Naturwissenschaften zugänglich ist, sei die ganze Wirklichkeit, genauso ein Postulat. Im Abgleich der Postulate ist es dann aber sinnvoller, dem unbedingten Anspruch zu folgen, sich als sittliche Persönlichkeit zu entwickeln, um dann mit einem Leben nach dem Tode zu rechnen. Denn Sittlichkeit braucht eine Welt mit anderen Bedingungen, in der der Prozess der Reifung nicht willkürlich abgebrochen wird und der Zusammenhang von Moral und Glück nicht zufällig ist.

Eckhard Bieger S.J.

 

Links:

Gott kommt im Menschen vor
Andere Universen

2 Gedanken zu “Versprochenes Glück – nicht auf dieser Welt

  1. Pingback: Die Sinnfrage beantwortet sich jenseits von Raum + Zeit | hinsehen.net

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