Glück verankert in der Transzendenz

Glück scheint dem Menschen versprochen, aber es verlangt von ihm sittliches Handeln. Trotzdem „kommt“ es nicht einfach. Die Instanz, die trotz der Widrigkeiten des menschlichen Daseins das verdiente Glück vermittelt, ist für die Theisten Gott. Aber was, wenn es Gott nicht gibt, wovon die Atheisten überzeugt sind? Es zeigt sich, dass die Denker der Antike und des Mittelalters die Antworten bereits gegeben haben. Die Moderne, so spiegelt es sich in den Beiträgen des Buches, hat zwar Ethik, das Glück scheint nicht mehr versrpochen.

Der Titel vereinigt Vorträge, die eigentlich die Entkopplung von Ethik und Religion zum Thema haben. Daher ist nicht eine Glücksfibel entstanden, sondern es finden sich Überlegungen, wie Ethik begründet werden kann und Voraussetzung für gelingendes Leben ist. Es kommen Atheisten wie Theisten zu Wort, die sich darin einig sind, dass ohne Ethik ein gelingendes Leben nicht möglich ist. Wie dann die sich dem Sittlichen verpflichtete Person zum Glück findet, verläuft etwas im Vagen.

Lohnend ist der Sammelband einmal wegen des philosophiegeschichtlichen Rückblicks auf die Antike. Christoph Horn zeigt auf, wie nicht erst Augustinus, sondern Sokrates, Platon und Aristoteles die Chance, glücklich zu werden, nicht nur mit der Sittlichkeit verbinden, sondern mit der Annäherung an Gott. Was später auseinanderfällt ist bei diesen Denkern innerlich verbunden. Gott ähnlich zu werden durch sittliches Handeln ist, sehr verkürzt gesagt, der Weg zum Glück. Diese Sicht des Menschen wird von Christoph Holm vorgestellt und von Stephan Herzberg bis zu den mittelalterlichen Denkern weiter gezogen. Holm Tetens kann das überzeugend an Kant aufzeigen, dass der Mensch sich selbst gegenüber zur Vollkommenheit verpflichtet ist und er damit einen Anspruch auf Glück erwirbt. Dieser, durch das sittliche Streben erworben Glücksanspruch wird in dieser Welt selten und nur zufällig eingelöst. Wenn es aber gleich gültig wäre, ob man dem sittlichen Auftrag folgt oder nicht, dann stände der unbedingte Anspruch des Sittlichen infrage. Es muss einen Unterschied machen, sich sittlich bemüht zu haben oder nicht, um dem Sittlichen seine Gültigkeit zu belassen. Daraus folgert Tetens mit Kant die Notwendigkeit eines Lebens nach dem Tod, denn erst dieses kann das Glücksversprechen einlösen. Tetens folgert auch eine weitere sittliche Vervollkommnung im Jenseits, da das Leben nicht dadurch beendet wird, dass das Individuum eine bestimmte sittliche Reife erlangt hat, sondern willkürlich durch Krankheit oder Unfall sein Ende findet, und damit dem Menschen das Erlangen der sittlichen Reife vorenthalten wird. Tetens  deutet weiter an, dass es ohne Erlösung das Ziel persönlicher und sittlicher Reife nicht erlangt werden kann.

Ethik aus Vernunfteinsicht

Die ersten fünf Beiträge sind aus theistischer Sicht verfasst. Sie argumentieren aus der Perspektive der Ethik und zeigen, dass ohne Ethos keine Glückschance besteht. Nun erwartet man von denen, die für die hier aufgeworfene Fragestellung die Existenz Gottes nicht voraussetzen, etwas Aufschlussreiches über das Glück. Wenn man die drei Beiträge von Schnädelbach, Thies und Philipse durchgelesen hat, scheint das Thema bei den Denkern nicht angekommen zu sein. Sie sind damit beschäftigt, Gott aus ihren Überlegungen herauszuargumentieren. Das geht bei Herman Philipse aus Leiden so: Sittliche Normen sind entweder von Gott unmittelbar vorgegeben oder der Mensch erkennt sie mit dem Verstand. Die erstere Alternative macht zumindest die Vernunft überflüssig, die zweite Gott. (S. 154) Auch wenn das Argument bei Platon steht, es in einer von Jesuiten getragenen Hochschule vorzutragen und dann noch zu drucken, diskreditiert alle Beteiligten. Es ist doch gerade katholische Tradition, in der Vernünftigkeit der Gebote die Weisheit Gottes zu erkennen. Kein normaler Gläubiger geht auch davon aus, dass Gott ihm erst erklären müsste, dass man niemand betrügt. Er wird nur durch die Bibel belehrt, dass Gott es ausdrücklich nicht will und er am Ende seines Lebens sich vor dem Gericht Gottes verantworten muss. Verwunderlich ist auch, dass der Theologieprofessor Höhn das Argument wiederholt, ohne zu reflektieren, dass Philosophie und Theologie auf verschiedenen Ebenen „sprechen“. Die Bibel sagt zwar dasselbe wie die rationale Ethik, jedoch gehen die 10 Gebote weiter, indem sie, über das philosophische Argumentieren auch das Begehren unterbinden wollen. Wenn man das sittliche Handeln in seiner religiösen Dimension verstehen will, dann sollte auch Philosophen René Girard rezipieren. Bei dem Leidener Religionsphilosophen Philipse erfährt man dann noch, dass das Christentum sich nicht zuletzt auf Grund seines ethischen Vorsprungs durchgesetzt hat, u.a. wegen stabilerer Ehen und größeren Kinderzahlen. Als hätten die Christen sich deshalb mehr dem göttlichen Gesetz unterworfen, weil sie so die Ausbreitung ihrer Religion vorantreiben könnten. Der Beitrag endet dann nicht mit einem Ausblick auf das Glück, sondern mit folgender Aussage: „Western Freedom of Religion enables us to free ourselves from religion without being punisches for practising intellectual  virtues with integrity.“ Nach der Prämisse „Gott oder menschliche Vernunft“ muss man letztere natürlich den Theisten absprechen. Nicht nur verschweigt der Autor, wie das Glückverlangen der Menschen erfüllt werden kann, er scheint den Gläubigen auch die intellektuelle Redlichkeit abzusprechen. Der nächste Beitrag von Christian Thieß erwähnt kurz Glücksmomente, die er als „religiöser Atheist“ in Naturerlebnissen und buddhistische Meditationspraktiken findet. Hier ist nur zu sagen, dass Gottgläubige diese Erfahrungen ebenso machen. Zur ethischen Frage gibt es ein Unterkapitel, das folgendes Argument einbringt: “ … besser als Alternativen scheint auf jeden Fall der Rechtsstaat mit Gewaltenteilung zu sein. Einigkeit besteht vor allem in der Ablehnung totalitärer Diktaturen.“ Das so lapidar hinzuwerfen, wenn die Internetunternehmen bereits die völlige Durchdringung der Privatsphäre erreicht haben und die politischen Umwälzungen in den westlichen Demokratien gerade nicht auf die universale Geltung der Menschenrechte setzen, zeugt vom Realitätsverlust des Autors. Wenn man dann noch liest, wie leicht man Gödels Rekonstruktion des ontologischen Gottesbeweises auf S. 134 abtun kann, fragt man sich, ob das eigentlich Religiöse überhaupt in den Blick kommt. Es geht nämlich bei Gödel nicht nur um „die Summe positiver Eigenschaften“, sondern um den Begriff des Absoluten, der für alle möglichen Welten gilt. Wenn man die Bedeutung des „Absoluten“ außen vor lässt, kommt dann auch nur eine unbestimmte Sprache bei dem ethisch Gesollten heraus. Ist es nur empfohlen, hat man sich unter den Menschen geeinigt oder gibt es einen unbedingten Anspruch. Irgendwie müssen die Menschen sich einigen. Aber warum sollen sie auf keinen Fall jemand anderen umbringen? (130f) Zu folgen ist dem Autor mit der Schlussfolgerung, dass es den allgütigen und allmächtigen Gott, an den sich die Theodizeefrage wendet, nicht gibt. Das Christentum hat dieses philosophische Konstrukt nicht verkündet. Es hat mit der Hinrichtung des Sohnes Gottes das wesentlich größere Theodizee-Problem. Die ersten tausend Jahre wurde der Gekreuzigte nicht dargestellt, allenfalls das Kreuz. Der Beitrag insgesamt liest sich wie eine abendliche Plauderei, der Zusammenhang von Moralität und Glück bedarf schon  einer größeren argumentativen und auch sprachlichen Anstrengung.

Und das Glück?

Dem Leser empfohlen, mit der Lektüre nciht auf Seite 8 zu beginnen, sondern vom Vorwirt direkt zu Punkt 4 im Beitrag von Hans Joachim Höhn auf S.193 weiterzugehen, wo sich eine angemessene und weiterführende Beschreibung des Glücks findet, die eigentlich an den Anfang gehört. Höhn zeigt die Ungeschuldetheit, das Unverdiente, die Nicht-Herstellbarkeit des Glücks in wenigen Strichen auf. Damit kann er eine Verbindung zu den theologischen Größen „Gnade“ und „Erlösung“ andeuten. Weiterführend zur Fragestellung ist Höhns Analyse, dass das Glück in sich schon Transzendenzcharakter hat.
Man sollte dann gleich den letzten Beitrag des Bandes von Heinrich Watzka über die Konzeption Ludwig Wittgensteins lesen. An Ludwig Wittgensteins Tagebucheintragen werden das Glück, das menschliche Ungenügen und die Frage nach der Transzendenz eindrücklich. Glück wird hier noch einmal anders zugänglich, nämlich als intensive Gegenwärtigkeit, die alles Fragen wie auch zweckrationales Handeln hinter sich lässt. Die Empfehlung, die Beiträge nicht in der von den Herausgebern angeordneten Reihenfolge zu lesen, deutet auf ein Problem hin, das in den Beiträgen kaum reflektiert wird: Während die Ethik das Argument fordert, kann man sich dem Phänomen „Glück“ nicht argumentativ, sondern eher phänomenologisch nähern. Da die Philosophen sich besser im argumentativen Sprachspiel auskennen, kommt das Glück meist nur als Perspektive ethischen Handelns zur Sprache.
Als Abschluss der Lektüre sei dann der Beitrag von William J. Hoye über die Gottesschau als Erfüllung des menschlichen Glückstrebens empfohlen. Dieser steht bereits im ersten Teil des Bandes, gehört aber systematisch eher an das Ende und hätte einen Beitrag aus atheistischer Sicht zur Frage der endgültigen Vollendung des Menschen verlangt.  Die von Hoye vorgelegte theologische Konzeption von Emergenz  sollte von der Diskussion aufgegriffen werden. Er zeigt auf, wie man den Übergang des Menschen in eine neue Existenzweise so denken kann, dass der Mensch sich nicht ins Göttliche hinein auflöst, sondern Mensch bleibt und doch Gott nahe sein kann. Dieser Gedankengang ist für das Gespräch mit Buddhismus und Hinduismus weiterführend.

Legt man das Buch beiseite, dann bleiben einige eindrückliche Argumentationsstränge, vor allem bei Holm Tetens. Jedoch verlangt die sehr unterschiedliche Qualität der Beiträge vom Leser, sich selbst einen Reim auf den Zusammenhang von Glück und sittlichem Handeln zu machen. Man hat weitgehend Philosophen zugehört, wie sie sich von dem erzählen, was sie gelesen haben. Jeder der Beiträge braucht eine eigene Literaturliste. Was sich in der Diskussion dieser Ansätze als tragfähig erwiesen hat, muss man sich mühsam zusammensuchen. Erstaunlich ist, dass keiner der Autoren auf einen Beitrag eines anderen, der in dem Band abgedruckt ist, verweist. Dabei waren die Autoren im April 2014 mit ihren Referaten in Frankfurt zusammengekommen.
Dass eine atheistische Position in der Frage weiterführt, ist nicht zu erkennen. Grund dafür könnte sein, dass das eine Auseinandersetzung mit der Theodizeefrage erfordert, was nämlich eine Weltperspektive ergibt, die keine Erlösung kennt. Holm Tetens ist dieser Frage nicht ausgewichen, kaum einer der Autoren hat sie aufgegriffen. Glück durch Vergessen kann im philosophischen Diskurs nicht die Alternative bleiben.

Der Islam verlangt mehr philosophische Anstrengung

Für das Gespräch zwischen atheistischen und theistischen Positionen besteht angesichts der Herausforderungen des Islam eine dringende Notwendigkeit. Wenn in westlichen Gesellschaften beide Positionen möglich bleiben sollen, dann ist nicht die Theologie, sondern die Philosophie gefragt, wie nicht nur Sittlichkeit begründet werden kann, ohne dass man sie durch eine religiöse Autorität durchsetzt, sondern was es mit dem Glück des Menschen auf sich hat. Es geht in der Auseinandersetzung mit dem Islam doch im Kern darum, wie menschliches Leben gelingt. Dass es in westlichen Gesellschaften noch gelingen kann, das bezweifelt der Islam.

Eckhard Bieger  S.J

Stephan Herzberg & Heinrich Watzka, Transzendenzlos glückliche? Zur Entkoppelung von Ethik und Religion in der postchristlichen Gesellschaft, Münster 2016, Verlag Aschendorff, 237 S.

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