Hoffnung für den Islam?

Wie kann der Islam eine Zukunft in westlichen Gesellschaften haben: Indem er den Koran besser versteht. Er darf den Koran nicht mit der Gesellschaft seiner Entstehungszeit gleichsetzen. Vielmehr muss er, so wie die arabische Stammesgesellschaft vor 1400 Jahren, durch den Koran geformt wurde, sich heute auf die postmoderne Zivilisation einlassen. Dafür wäre der Islam intellektuell in der Lage, faktisch ist er es nicht, so das Urteil des französischen Imams Tareq Oubrou, der marokkanischer Herkunft ist.

Eckhard Bieger S.J.

Das Urteil über den aktuellen Islam fällt vernichtend aus. Er hat schon die Moderne und dann die aus der Moderne herkommende Postmoderne nicht verstanden. Er wird politisch instrumentalisiert, sowohl in Saudi Arabien wie in Persien. Er wird nicht nur vom IS genutzt, um junge Leute zu rekrutieren. Er befindet sich in einer Phase der Dekadenz und hat offensichtlich nicht die intellektuelle und spirituelle Kraft, sich produktiv mit dem Selbstverständnis der westlichen Gesellschaften auseinanderzusetzen. So die Einschätzung des muslimischen Theologen

Der Koran enthält nur Spuren des Wortes Gottes

Die Folge ist, dass der Islam den wahren Koran mit der Gesellschaft seiner Entstehungszeit gleichsetzt und nicht den Koran, sondern die vom Koran geprägte arabische Stammesgesellschaft zur Norm erklärt. Entscheidend ist daher, dass der Koran als eigene Größe gesehen wird, die nicht mit der Zivilisation gleichgesetzt wird, in die er hineinwirkt. Der heutige Islam, so Tareq Oubrou, hat ein hermeneutisches Problem, das ihn seiner Prägekraft beraubt. Wenn der Koran nicht mit einer Gesellschaftsform gleichgesetzt wird und keine letztverbindliche aus dem Koran abgeleitet werden kann, dann wird es den Muslimen erst möglich, die Zivilisation als eigene Größe zu verstehen. Diese Zivilisation bestimmt den Zugang ihrer Mitglieder zum Koran. Auch die Zivilisation der Entstehungszeit war eine, die vom Koran geprägt werden musste. Sobald der Koran gelesen wird, werden Verstehenskategorien der jeweiligen Epoche wirksam, so dass der gehörte Koran nicht mehr reines Wort Gottes sein kann.

Der Koran ist immer auch seine Auslegung

Der Islam selbst entwickelte im Mittelalter eine Theorie des Wortes, die eben eine Philosophie ist und auch auf das Denken des christlichen Hochmittelalters einwirkte. Es ist nicht die christliche Konzeption, dass das Wort Fleisch geworden ist, es ist Text, Schrift,  eben der Koran geworden. Insofern sei der Protestantismus dem Islam näher als Orthodoxie und Katholizismus. Aber der Koran macht Gott nicht für den Menschen greifbar, sondern er enthält nur Spuren Gottes. Diese müssen entziffert werden. Mit dieser Charakterisierung ist die vom heutigen Islam propagierte wörtliche Anwendung des Korans nicht mehr möglich. Die mittelalterlichen muslimischen Theologen und Philosophen haben diese Hermeneutik, eben ein Verständnis für die Auslegung des Textes, bereits entwickelt. Der heutige Islam verfügt nicht mehr über die intellektuellen Werkzeuge, um sich in die heutige Kultur zu integrieren, mit ihr auf Augenhöhe ins Gespräch zu kommen. Das führt zu dem Grundgefühl gerade bei der dritten und vierten Generation, in der westlichen Kultur fremd zu bleiben. Weil diese Kultur als feindlich erlebt wird, ist Gewalt die Reaktion. Bildung wäre die Alternative. Das bezieht sich auch auf die Anerkennung der Gesetze westlicher Staaten durch die Muslime. Die Scharia dürfe nicht als ein jetzt anzuwendendes Gesetzeswerk verstanden werden, das neben den staatlichen Gesetzen umgesetzt werden muss, sondern die Werte der Scharia müssten in die heutige Gesetzgebung einfließen, um die Gesellschaft zu gestalten. Es ist also Sache des Islam selbst, durch Bildung und überhaupt kulturelle Anstrengung seinen Anhängern ein Leben im Kontext der postmodernen Zivilisation so zu ermöglichen, dass sie ihre religiöse Identität nicht aufgeben müssen.

Der Islam als Strang der europäischen Geschichte

Die westlichen Gesellschaften können zur Integration beitragen, wenn z.B. muslimische Studenten erfahren, welchen Anteil der Islam an der europäischen Geschichte hat. Diese Anteile werden in den verschiedenen Studienrichtungen ausgeklammert. Weiter könne der Westen an die intensive Beschäftigung mit dem Islam in der Zeit der Aufklärung anknüpfen, als Goethe den West-Östlichen Divan schrieb und Mozart die Entführung aus dem Serail komponierte.

Es gibt keine Sicherheit, dass der Islam sich in die westliche Welt integriert
So viele Anknüpfungspunkte der Redner für den Dialog anbot, so skeptisch blieb am Ende die Beurteilung der Chancen, ob der Islam sich tatsächlich produktiv mit den westlichen Gesellschaften auseinandersetzen oder in seiner ablehnenden Unterlegenheitsgeste stecken bleiben wird. Dass die westlichen Gesellschaften und in ihnen die Christen den Islam so akzeptieren müssten, wie er sich ihnen in seiner jetzigen Verfasstheit präsentiert, das forderte der Gast aus Frankreich nicht. Das wurde auch durch die Präsenz eines Polizeifahrzeugs deutlich. Tareq Oubrou wird nicht von westlichen Islamgegnern bedroht, sondern durch eine Fatwa des IS.

Es gibt keine Alternative zum Dialog. Christentum und Islam seien deshalb für die Zukunft aneinander gekettet, weil sie ein universelles Heilsversprechen für alle Menschen in sich trügen.

Eckhard Bieger S.J.

Der Vortrag fand innerhalb einer Veranstaltung in der Philosophisch-theologischen Hochschule Sankt Georgen in Frankfurt statt und war von dem dortigen Lehrstuhl „Katholische Theologie im Angesicht des Islam“ sowie der Deutsch-Französischen Gesellschaft am 27. Juni 2017 ausgerichtet worden.

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