Verrat als Vertrauensbruch oder Treuebeweis?

Manchen Politikern wirft man vor, sie würden ihr Volk verraten, weil sie sich mehr für ihre Vorteile interessieren als für das Bonum Commune, das gemeinsame Wohlergehen. Einem Freund nimmt man es übel, wenn er bislang unter Verschluss gehaltene unschöne Geschichten Dritten erzählt, man fühlt sich verraten. Als Vertrauensbruch wird erlebt, wenn ein Politiker sich nicht an das Wahlversprechen hält, was er vor der Wahl gegeben hat. Im mitmenschlichen Umgang wäre ein Vertrauensbruch die Beteuerung der Freundschaft, die sich als vorgespielte erweisen würde. Doch unterscheiden sich Verrat und Vertrauensbruch tatsächlich? Und kann ein Verrat nicht gar Beweis von Vertrauen sein?

Thomas Holtbernd

Kathedrale von Amiens  Foto: hinsehen.net

Als Verrat kann man einen besonders schweren Vertrauensbruch verstehen, der das vom anderen investierte Vertrauen missbraucht. Eine besondere Form des Verrats ist das Desertieren, das im Stichlassen einer anderen Person. Im deutschen Strafrecht gibt es den Tatbestands des Hochverrats gegen den Bund (§ 81 StGB), gegen ein Land (§ 82 StGB), bei Rechtsanwälten einen Verrat gegenüber den Mandanten wie auch einen Parteiverrat nach § 356 StGB. Ein besonderer Fall ist der Geheimnisverrat, bei dem man von Landesverrat spricht, wenn ein Staatsgeheimnis unbefugt an Dritte weitergegeben wurde.

Ohne Vertrauen kein Verrat

Verrat setzt voraus, dass es ein festgeschriebenes Vertrauensverhältnis gibt und dass das, was als Geheimnis zu gelten hat, von beiden Seiten anerkannt wird. Ferner muss klar sein, wer als Feind zu gelten hat, dem ein Geheimnis nicht verraten werden darf. Etwas weiterzugeben oder jemanden im Stich zu lassen, setzt voraus, dass es ein Binnen- und Außenverhältnis gibt. Die Vorannahme ist die Bestimmung eines Dritten als „Feind“. Hält man es für ethisch bedeutsam, dass die Trennung zwischen Freund und Feind menschenverachtend ist oder die Nächstenliebe ein sehr hoher Wert ist, dann bekommt der Verrat eine andere Nuance. Wird zudem angenommen, dass es ein offenbartes Geheimnis gibt, das allen Menschen weitergegeben werden soll, so wird es schwer, genauer zu definieren, was Verrat sei oder was verraten wird. Ein Beweis des Vertrauens könnte es sein, die Sache zu verraten, um einen Menschen zu retten. Und umgekehrt könnte die unbedingte Treue zu einer Sache bei anderen Menschen Vertrauen schaffen.

Verrat als menschliche Grundbedingung

Das Festhalten an einer konkreten Weltauffassung, Ideologie oder einem Glauben gerät fast immer in Konflikt mit der Treue zu einem anderen Menschen. In zugespitzten Situationen kann der Einzelne zu der Entscheidung gezwungen sein, die Sache oder „die Freunde“ zu verraten. Zur Erzählung über die Anfänge einer Gruppe gehört wohl immer die Episode über die Bedrohung durch Verrat. Es bildet sich ein Gründungsmythos, der im Verräter die Projektionsfläche für die eigenen Zweifel an Idee und Gründer dieser Gruppe bildet. Es scheint offensichtlich zu sein: Ohne Verrat geht es nicht. Grundlegendes Kennzeichen des Verrats ist dabei die Tatsache einer Parallelwelt. Ein Verräter ist sowohl im „inner circle“ aktiv als auch in der Welt des Außen und findet keine Möglichkeit, in irgendeiner Weise beide Welten als eine zu sehen.

Vertrauen ist etwas anderes als Treue

Das Vertrauen in einen anderen Menschen beruht vor allem darin, dass dem anderen eine große Ambiguitätstoleranz zugetraut wird. Ein Eiferer würde immer eine Seite zum Siege führen wollen, eine fehlende intellektuelle Ausstattung wird es dem Einzelnen gar nicht möglich machen, die Ambiguität solcher Zustände zu verstehen. Und ein Mensch, der die persönliche Reife oder Charakterstärke nicht entwickelt hat, wird bei einer zu hohen Belastung einknicken und sich einer Seite zuwenden, dies jedoch nicht aus Überzeugung, sondern aus Schwäche.

  • Vertrauen in einen Menschen kann sich so einmal auf eine Investition beziehen, die jemand macht, weil er den anderen sympathisch und vertrauenswürdig findet. Und
  • zweitens beruht das Vertrauen auf einer gereiften und sachlichen Sicht darauf, dass Menschen bei ihrer Sache bleiben können.

Ein eindeutiges und absolut sicheres Vertrauensverhältnis steht dem Bedürfnis gegenüber, ein Kohärenzgefühl durch die Unbedingtheit einer Weltanschauung zu erreichen. Der Möglichkeit des Sinnverlustes durch die Bestätigung des Vertrauens steht die Hoffnung gegenüber, in der Beziehung zu einem anderen Menschen so viel Zutrauen zu gewinnen, dass ein Sinnverlust kompensiert werden kann. Die Gefahr, das eine oder andere zu verlieren, lässt sich bei keiner Alternative ausschließen.

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