Du sprechen Fußball?

Foto: dpa / picture-allianceJournalisten zwischen nervigen Plattheiten und Kabarett

„Wat woll’n Se jetzt von mir?“ entfuhr es Per Mertesacker nach dem Spiel gegen Algerien auf die Fragerei des Journalisten. Der Mann war körperlich völlig fertig nach dem Match mit Verlängerung und der Reporter verlangt eine Antwort, die Analyse, Kommentar und Erklärung der „schlechten“ Leistung trotz Sieg beinhalten soll. Der Journalist, der muss ja etwas fragen, wenn er geschickt wird. Und dann plaudern Oliver Welke und Oliver Kahn über diesen „Ausraster“. Der eine nimmt Per Mertesacker in Schutz, der andere hat für den Reporter Verständnis.

Fußballer, die gut auf dem Platz sind, haben halt wenig im Kopf, den halten sie zu oft hin. So galt die Devise und jeder kann irgendeine Dummheit wiedergeben, die ein Fußballstar irgendwann einmal gesagt hat. Es gibt Sammlungen von Aussprüchen und die sind tatsächlich schräg. Genauso ist man manches Mal amüsiert über das, was Kommentatoren bei einem Spiel so daherreden. Da redet sich so mancher um Kopf und Kragen. Irgendwie muss so ein Kommentator ja etwas von sich geben, er kann ja nicht nur Müller, jetzt Lahm, wieder Müller, Neuer, Neuer, Tor! von sich geben. Manchmal wünscht sich der Zuschauer ein wenig mehr Minimalismus, doch der Kommentator soll auch seine Begeisterung vermitteln und daher engagiert etwas erzählen. Als es noch nur das Radio gab, spielten die Fußballreporter tatsächlich auf dem Platz mit, so kam es den Zuhörern zumindest vor. Wenn der Zuhörer jedoch via Fernseher auch Zuschauer ist, dann ist der Kommentar ergänzend oder erklärend. Es gibt Zeitgenossen, die stellen den Ton am Fernseher aus und das Radio an, um den vollen Genuss zu haben.

Fußball ist wie „Wetten dass?“

Spätestens seit der Fußballweltmeisterschaft 2006 in Deutschland, mit Fanmeilen, Public-Viewing und völkervermischenden Partys ist ein Fußballturnier mehr als Fußball. Da begeistern sich Menschen für dieses Spiel oder lassen sich mitziehen, die gerade mal wissen, dass das Runde ins Eckige soll. Feiern ist angesagt, man hat etwas zu erzählen, manchmal gibt es auch eine Schlägerei, aber die kommt ja in den besten Familien vor. Es wird debattiert, der Schiedsrichter für blöd erklärt und der Trainer war auch schon mal besser. Es ist wie zu den Glanzzeiten von „Wetten dass?“. Die Familie sitzt vor dem Bildschirm, am nächsten Tag ist das Gesprächsthema am Arbeitsplatz klar und wenn die eigene Mannschaft verloren hat, dann ist das halt so, es ist ja Unterhaltung.

Der Welkerismus des Sportjournalismus

Dass Oliver Welke als Moderator über die Bildschirme flimmert, ist nicht verwunderlich. Es passt zum Unterhaltungscharakter des modernen Fußballs. Als Zuschauer ist man in die heute-show versetzt, weiß nicht so recht, ob Oliver Welke gerade einen Gag macht oder doch nur kommentiert. Man ist amüsiert, kann ihm besser zuschauen als manch anderem biederen Fernsehmann. Und wahrscheinlich wird Anke Engelke bei der nächsten Weltmeisterschaft das Ruder des Moderierens an sich reißen, damit die Frauenquote auch beim Fußball zumindest rudimentär eingehalten wird. Das ernsthafte Fußballgeschäft ist lustiger geworden, ein amüsanter Zeitvertreib für die ganze Familie. Reporter, die noch nach alter Väter Sitte ernste Fragen stellen, seriös in ein Interview gehen oder nüchtern ein Spiel kommentieren, haben ausgedient. Fußball ist nicht mehr nur spannende Unterhaltung, sondern ein amüsantes Freizeitvergnügen. Und weil es ein solches Happening ist und nicht nur das Spiel im Vordergrund steht, werden auch die Übertragungen länger. Es wird erzählt, kommentiert, Fachleute äußern sich, Spieler werden interviewt und bei diesen Längen hilft mancher Witz und das, was man von den anderen Sendungen im Privatfernsehen her kennt. über die Eintönigkeit hinweg.

Die Lust auf Lustiges

Der „Ausraster“, wenn man es überhaupt so bezeichnen soll, zeigt jedoch auch, wie schnell „Meldungen“ entstehen, für die kein Journalist mehr verantwortlich ist. Das Interview mit Mertesacker stellte jemand auf youtube ein und in wenigen Stunden wurde es millionenfach angeklickt. Aus dem Interview wurde ein Musikvideo gemacht und auch das erfreut sich in der Internetgemeinde einer großen Beliebtheit. Die Journalisten bekommen solche Trends mit und berichten dann darüber. Die facebook-Freunde sind jedoch immer schneller und haben schon den nächsten lustigen Coup gelandet. Lustige Sprüche, Bilder und Videos verbreiten sich schnell, weil so die Langeweile der Statusmeldungen, der sonstigen Meldungen über private Angelegenheiten, eine amüsante Unterbrechung erfährt. Da die Lust auf Lustiges Material braucht, ist es unerheblich, ob es Politik, Religion oder eben auch Fußball ist. Diese Art der Unterhaltung ist zu einem Lebensgefühl geworden und wird daher auch von Sportreportern sowie Medien generell erwartet. Die eigentliche Meldung verliert an Bedeutung, es kommt auf diese „Wetten dass?“-Atmosphäre an.

Thomas Holtbernd

Foto: dpa / picture-alliance

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